Der Osten trinkt besser

„Der Westen trinkt gut, der Osten trinkt besser“, ruft die Dorfjugend im Thüringer Wald und setzt den Nordhäuser Doppelkorn an. Natürlich, dazu wird Frei Wild gehört, eine Band der man sicher nicht zu Nahe tritt sie zumindest als nationalistisch zu bezeichnen. Ein paar Orte weiter ist das Schleizer Dreieck, die nach Angaben des Betreibers „älteste und beste Naturrennbahn Deutschlands“, darauf dass hier bald wieder die IDM, die Internationale Deutsche Motorradmeisterschaft, gastiert ist man besonders stolz. Was auffällt, die Gruppe die sich hier bei Nacht an einem kleinen See versammelt, besteht vor allem aus jungen Männern zwischen 18  und 25, zwei deutlich jüngere Mädchen sind dabei, beide noch auf der Schule. Die Meisten seien weggezogen, in die größeren Städte nebenan wie Erfurt und Jena oder gleich nach Leipzig oder Dresden. Sie sind übrig, einer hat gerade seine Ausbildung abgebrochen, ein Anderer verdient sein Geld als Wachmann. Auf Dauer sei das aber nichts, sagt er selbst. Ob ich im sommerlichen Urlaub im Thüringer Wald auch die herbstlichen AfD Wähler getroffen habe, das bleibt offen.

Facebook Post der AfD Thüringen

Jedenfalls wurde am 29.10.2019 hier Uwe Thrum  von der AfD mit 29 % der Wählerstimmen in das Direktmandat des Thüringischen Landtages gewählt. Bei den Zweitstimmen sind es dann immer noch 5 Prozentpunkte mehr als das Landesergebnis von 23,4 % der Partei. Die Grünen wären hier mit 2,4 % gar nicht in den Landtag eingezogen.

Geschichten über DDR-Nostalgie und ehemals blühende Landschaften gab es vor den Landtagswahlen in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst 2019 mehr als genug. Wirklich erklären kann ich mir die Ergebnisse der Landtageswahlen damit aber nicht.

Weimar: Goethe hat hier den Stadtpark geplant und darin im „Gartenhäuschen“ gewohnt, Franz Liszt das erste Musikkonservatorium gegründet, Walter Gropius die Architektur neu gedacht, 2019 feierte die Stadt das Jubiläum zu 100 Jahren Bauhaus. Ein neues Museum wurde eingeweiht und die Universität gilt seit einigen Jahren wieder als eine der wichtigsten Hochschulen für Architektur in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit in Weimar liegt bei 3,7 %, in ganz Thüringen sind es 5,8 %, im städtische Wahlkreis hat die AfD lediglich 14,2 % erhalten, einen Direktkandidaten der Partei gab es erst gar nicht. Läuft man durch die Altstadt sieht man eigentlich nur frisch renovierte Gebäude, es gibt regelmäßige Führungen um den wichtigen Cranach Altar und eine Kutschenfahrt durch die ehemalige Fürstliche Residenzstadt gehört zu jedem touristischen Programm. Doch sobald man die Stadt verlässt, im Wahlkreis Weimarer Land, erhält die AfD wieder 23,8 % der Zweitstimmen. Um Land gegen Stadt kann es hier eigentlich nicht gehen, direkt an den Landkreis Weimar grenzen schließlich gleich auch noch Erfurt und Jena. Auf dem „Dorf“ ist man in Gemeinden um Weimar also sicher nicht.

Wer die AfD in Thüringen wählt ist eigentlich hinreichend bekannt, es sind die Mittelalten zwischen 25 bis 59 Jahren die am meisten zum Erfolg der Partei. Aber sind das deshalb die sogenannten „Wendeverlierer“ die hier entscheiden? Wer in der DDR bereits einmal gearbeitet hat ist heute mindestens um die 40 Jahre alt, gleichzeitig wählen 1/5 der Erstwähler die AfD, bei über 70 Jährigen sind es nur 13 %. So ganz passt Narrativ der ostdeutschen (Wende)Verlierer also nicht zur Nachwahlumfrage der ARD.

In Baden-Württemberg, Waldbrunn im badischen Teil des Odenwaldes hat 2019 auch gewählt, so wie ganz Deutschland, in den Europawahlen. Die AfD hat hier nur 10,86 % erhalten, die Grünen 14,98 %, die CDU und SPD belegen die ersten beiden Plätze. Die nächste Stadt ist eine halbe Stunde entfernt, das nächste große Kino etwa eine Stunde und auch zum Arbeiten fahren die Meisten hier mindestens zwei Stunden pro Tag. „Alla gut“ sagt man zum Abschied und obwohl geographisch ganz nah ist die Mentalität doch ganz weit von Mannheim oder Heidelberg entfernt. Der AfD nützt das aber scheinbar nichts.

In Nordrhein-Westfalen, „Von Arbeit ganz grau“ singt Herbert Grönemeyer im Lied „Bochum“ und meint damit wohl ein Ruhrgebiet, dass wir heute so nicht mehr kennen. Vieles ist Grün geworden, statt Zechen gibt es Landschaftsparks, die Sonne, wie Grönemeyer singt, verstaubt hier heute nicht mehr. Manchen Städten im Ruhrgebiet geht es nach ihrem Strukturwandel gut, anderen wie Essen geht es nicht so gut. Eine Arbeitslosenquote von um die 10 % und eine Verwaltung ständig die fast pleite ist. Die AfD hätte da eigentlich passende Wahlversprechen im Gepäck.

Wahlergebnis der Stadt Essen bei den Europawahlen (Quelle: Stadt Essen)

Aber in Essen liegt die Partei bei nur 10,8 %, zwar kann man auch das noch viel finden. So fallen die Städte im Ruhrgebiet durchaus mit überdurchschnittlichen Wahlerfolgen der Partei auf. Es scheint also etwas dafür zu sprechen, dass Einkommen und Arbeitslosigkeit mit dem Erfolg der AfD zusammenhängen. Scheinbar können sie aber nur die Hälfte der 20 % Wahlerfolge in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erklären. Handelt es sich also doch im ein Ostdeutsches Phänomen?

Möglicherweise lässt sich diese These tatsächlich schlüssig aufrechterhalten. Wenn heutigen die Wähler*Innen nicht unbedingt mit der DDR verbunden sind, so sind Bundesländern trotzdem natürlich stark durch dieses andere Deutschland geprägt. „Vollende die Wende“ wird von der AfD schließlich nicht von ungefähr als Lieblingsslogan verwendet. Wer dann aber an über DDR-Nostalgie und „Verlierer“ nachdenkt geht, meine ich, irr. Denn klar, Menschen mit Portraits von Erich Hoenecker im Wohnzimmer gibt es bestimmt, aber es gibt eben überall auch ein paar Verrückten. Den Punkt machen die vielen Reportagen über verlassene Landschaften daher möglicherweise immer dann, wenn über den geschlossenen Bäcker und das stillgelegte Gleis gesprochen wird, nicht wenn Rentenhöhe und Soljanka im Vordergrund stehen.

Denn obwohl in ganz Deutschland viele ländlichere Städte kleiner werden gibt es eigentlich nur in Ostdeutschland ganze Regionen in denen Städte überdurchschnittlich schrumpfen. Wenn das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung von der „langjährigen hohen Abwanderung junger Menschen“ spricht lässt sich das in einem Online-Tool sehr gut nachvollziehen. Im Gegensatz zum Thüringer Wald wächst die Bevölkerung in Weimar, Waldbrunn und Essen aus ganz unterschiedlichen Gründen. In Weimar lässt sich Geld mit Touristen verdienen, in Waldbrunn lässt man sich als gestresster Städter nieder. In Essen bleibt einem immerhin noch Düsseldorf und auch in Dresden gibt es jede Menge zu tun. Im Thüringer Wald aber ruft man vorerst noch „Der Westen trinkt gut, der Osten trinkt besser“.

Weniger über die DDR und mehr über Themen wie moderne Regionalplanung nachzudenken, wäre also vielleicht ein Weg um der AfD endlich Ideen statt Vorwürfe entgegen zu halten. Obwohl auch das natürlich viel zu kurz greift. Denn jede Umfrage und Studie wird immer nur Zusammenhänge zeigen, nie aber Gründe. Was die Wähler*Innen motiviert, dazu gibt also erst der nächste Wahltag wieder eine Stimme echte ab.

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