„Ich war einige Jahre in Deutschland und mein Asylantrag wurde abgelehnt. Jetzt treffe ich dich hier in Frankreich und du gibst mit Essen. Das ist doch verrückt.“, sagt ein ungefähr 25-jähriger Mann in Deutsch bei einer unserer Essensausgaben zu mir. Diesen September haben wir in Calais verbracht. Wir haben viel gespült, Gemüse geschnitten, Essen verteilt und Menschen kennengelernt.
Refugee Community Kitchen (RCK) ist eine NGO, die 2015 von vier Brit*innen gegründet wurde. Seitdem werden in der Großküche im Warehouse beinahe täglich mindestens 1000 warme Mahlzeiten vorbereitet und an verschiedenen Plätzen in Calais und Dünkirchen an Geflüchtete verteilt. Die meisten Freiwilligen dort sind Britisch und zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Und so unterschiedlich wir alle sind, vereint uns der Wille, etwas tun zu wollen. Inzwischen ist die Organisation erprobt und sensibel, wenn es um Themen wie Rassismus, Sexismus oder Altersdiskriminierung geht. Sowohl im Team als auch im Umgang mit Geflüchteten versuchen wir auf unsere Sprache zu achten und profitieren von der Erfahrung anderer Freiwilliger. Floskeln wie „My friend“ oder „I´m sorry but I can´t give you….”, versuchen wir zu vermeiden. Denn das bekommen die Geflüchteten täglich zu hören und meist ist es gar nicht so gemeint. Stattdessen sagen wir lieber: Klar, kannst du 10 Teller voll Essen haben, jetzt kann ich dir 5 Teller geben und wenn du dich wieder anstellst, bekommst du nachher nochmal fünf.

Schön ist es außerdem, dass es noch ganz viele andere Organisationen gibt, die sich auf Material, medizinische oder psychische Versorgung, Hilfe bei Antragsstellungen oder Schutzsuche spezialisiert haben und zuverlässig und regelmäßig vor Ort sind. Wenn ich nach einem Schlafsack gefragt werde, bin ich also nicht untröstlich, weil ich keinen habe, sondern eigentlich relativ sicher, dass diese Person heute Nacht in einem Schlafsack schlafen wird.
Macht und Möglichkeiten
“On the field” wird man sich des riesigen Machtgefälles zwischen „uns“ und „den Geflüchteten“ bewusst. Wir rollen mit einem Van voller Essen auf den Platz – genießen die Sonne und die Gespräche oder ertragen das schlechte Wetter und die aggressive Stimmung. Und nach einer Stunde gehen wir wieder. Nach Hause, unter eine heiße Dusche, in unser Bett. Wir fahren eine Freundin auf die Fähre, die mit ihrem britischen Pass einfach so in England einreisen kann und werden uns bewusst, was für ein Privileg das ist. Wir Freiwilligen werden während den Essensausgaben von der Polizei befragt, und immer wieder auch eingeschüchtert. Wir kooperieren mit der Polizei. Würden wir uns schlecht verhalten, dann müssten die Geflüchteten dafür büßen, weil sie bleiben wenn wir gehen. Und auch regulär werden sie alle 48 Stunden von der französischen Polizei von ihren Schlafplätzen vertrieben werden. Ein Mann erzählt mir in einwandfreiem Deutsch, dass er 6 Jahre lang in Deutschland gelebt hat, eine Sprachschule besucht und eine Ausbildung zum Grillmeister gemacht hat. Dass er zwei Mal ins Gefängnis musste und vor dem dritten Mal gegangen ist. Er ist 22, genau, wie ich und doch ganz anders.
Dabei scheint alles so „normal“. Geflüchtete erzählen von ihrem Lieblingsessen, beklagen sich über den Tee, der viel zu wenig gesüßt (für uns eigentlich nur Zuckerwasser) ist und erklären, dass man „Au“ (Wasser) in vielen verschiedenen kurdischen Dialekten unterschiedlich ausspricht. Wir sehen Geflüchtete, die Essen für ihre ganzen Familien holen. Frauen, die in einer extra Schlange stehen, weil sie nicht bei den Männern stehen wollen. Wir lachen darüber, dass ein Geflüchteter und ich genau die gleiche Frisur haben und uns anscheinend ähnlich sehen. Einmal werde ich mit Namen begrüßt, als ich einem Mann Essen schöpfe – und auch ich kenne inzwischen einige Namen. Und mir wird sehr bewusst, dass die Geflüchteten einfach Menschen sind. Mit Geschichten, mit Charakter und mit Namen.
Ich schäme mich für Deutschland und für Europa und vor allem bin ich traurig – dass das nicht besser klappt und wir das nicht hinkriegen.
Und dann wird durch dieses Sehen und Gesehen-Werden ganz vieles „verrückt“ und „abnormal“. Und ich weiß nicht, was ich dem Mann erwidern soll, der sich wundert, dass wir uns in Frankreich treffen. Ich schäme mich für Deutschland und für Europa und vor allem bin ich traurig – dass das nicht besser klappt und wir das nicht hinkriegen. Als ich von dem Feuer in Moria höre und die Bilder sehe, wird dieses politische, strategische Gerede über eine Europäische Lösung pervers. An dem Tag, an dem Seehofer verkündet, Deutschland nehme 150 minderjährige Flüchtlinge auf, ist mir schlecht. Und ich will den Geflüchteten nicht gegenübertreten, die mir meinen ganzen Wohlstand und meine Privilegien, meinen Egozentrismus und vielleicht auch meinen Geiz so deutlich vor Augen führen. Und gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir alle sie kennenlernen, sie sehen, jede*n Einzelne*n. Damit wir das Verlangen entwickeln, unsere Privilegien zu teilen. Und, dass wir die Angst vor „dem Fremden“ verlieren, weil wir sie als Menschen erkennen. Weil sie witzig, fröhlich, traurig, laut, blöd, gemein, aggressiv, hoffnungsvoll, enttäuscht, müde sind. Und weil sie ein Zuhause verdienen und Freiheit. Denn in dem Moment, in dem wir einander als Menschen erkennen, wird es unbegreiflich, wie wir uns nicht miteinander solidarisieren können.
Selbst spenden oder mitarbeiten: https://www.refugeecommunitykitchen.com/
Ich finde es immer wieder super, dass ihr euch beide in Calais so engagiert habt und wertvolle Erfahrungen gesammelt habt.
Von diesen Erfahrungen werdet ihr sicher noch lange profitieren. Und auch, dass ihr diese teilt finde ich gut. Denn dadurch können sich mehr Menschen eine Meinung bilden und es regt an, darüber nachzudenken.
Es ist schön, dass wir diese Privilegien haben. Und dafür schäme ich mich nicht. Aber es ist traurig zu sehen, dass anderen Menschen, die lange nicht so privilegiert sind, nicht annähernd so damit geholfen wird, wie wir es eigentlich könnten und auch sollten… Und da muss ich mich auch an die eigene Nase fassen.
Was das angeht können wir uns eine Scheibe von euch abschneiden.
Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Gerechtigkeit auf der Welt gibt, durch das Helfen der Privilegierten!
Hut ab vor eurem Engagement und euren Gedanken und eurem Tatendrang!!!